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Wie gesagt, hier findet ihr mein neues Fantasy-Projekt. :D Sobald ich einen Namen weiß, ändere ich das hier.

 

ÜBERARBEITETE FASSUNG!!! 

 

1. Kapitel

 

"Wieder mal nur eine Eins", verkündete Frau Kleimann in einem Tonfall, der deutlich sagte: Warum bin ausgerechnet ich die Klassenlehrerin der 9a?

"Und natürlich hat diese Eins Lukas."

Einige Jungs in der letzten Reihe grinsten sich vielsagend an und Chris, der Größte von ihnen, johlte: "Hey Luki, du gibst uns doch sicher mal Nachhilfe, oder fühlst du dich dazu zu wichtig?". Ich biss die Zähne zusammen und stopfte die Klassenarbeit, welche mir Frau Kleimann gab, ohne sie eines Blickes zu würdigen, in meine Schultasche. Konnten sie mich nicht einmal in Ruhe lassen?

Bea stieß mich freundschaftlich an. "Super, Lucky!", murmelte sie leise und ignorierte Chris' hämische Miene geflissentlich. Ich lächelte gequält. Sie hatte gut reden, schließlich fiel sie nur manchmal ein paar kleinen Sticheleien zum Opfer.

"So, dann wollen wir mal weitermachen", sagte Frau Kleimann, und damit war das Thema für sie beendet.

Als die letzte Stunde vorüber war und alle Schüler nach draußen stürzten, rief Frau Kleimann: "Lukas, bitte komm doch nochmal zu mir."

Seufzend trat ich ans Lehrerpult. Sicher würde sie mir jetzt einen Vortrag oder ähnliches aufbrummen, damit sie mir vor der ganzen Klasse wieder mal sagen konnte, wie toll ich das gemacht hatte.

"Lukas, du weißt, dass du bei Problemen immer mit mir reden kannst." Oh nein, nicht die Masche!

"Ich habe schon öfters beobachtet, wie unverschämt die anderen, besonders Christopher, zu dir sind. Das kann ich ihnen nicht durchgehen lassen. Ich verstehe auch gar nicht, welche Gründe sie dafür haben. Du bist doch so ein netter, fleißiger und hübscher Junge. Was hältst du davon, wenn ich mal ein ernstes Wörtchen mit ihnen rede?" Na, das war definitiv das, was ich brauchte.

"Bloß ni-! Ähh, ich meine, die scherzen doch bloß! In Wirklichkeit verstehen wir uns blendend!" Es kostete mich enorme Überwindung, diesen letzten Satz über die Lippen zu bringen.

"Wirklich?" Frau Kleimann setzte eine besorgte Miene auf. "Es gäbe vielleicht die Möglichkeit, dich anstatt Christopher als Klassensprecher einzusetzen. Bestimmt hätten die anderen dann viel mehr Respekt vor dir."

Beinahe hätte ich diese Möchtegern-Psychologin ausgelacht, aber ich riss mich zusammen.

"Es gibt nicht die geringsten Probleme, glauben Sie mir. Ich muss jetzt aber wirklich los, ich hab' noch einen Termin."

Meine Klassenlehrerin sah zwar immer noch nicht zufrieden aus, doch sie ließ mich gehen.

Natürlich warteten vor der Tür bereits Chris und seine Kumpel auf mich.

"Ey, Luki, du weißt, du kannst immer mit mir reden, weil du so nett, fleißig und hübsch bist!", ahmte Chris die piepsige Stimme unserer Klassenlehrerin nach.

Jannis und Anton prusteten los. "Ich wusste ja gar nicht, dass wir uns blendend verstehen, Fischfresse!", höhnte Chris.

Ich schenkte ihnen ein ironisches Lächeln und wandte mich der Treppe nach unten zu.

"Hey, nicht so schnell, Luki! Wir sind noch nicht fertig!", rief mein neuer Kumpel und drehte mir grob den Arm auf den Rücken. Ich entwand mich seinem Griff und stieß ihm den Ellenbogen vor die Brust. Während er rückwärts taumelte, lief ich, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter, trat aus dem Schulgebäude und atmete tief ein.

Ein unglaublich toller Schultag ging zu Ende.

 

Am Nachmittag erledigte ich zusammen mit Bea die Hausaufgaben.

"Hast du vielleicht Lust, nachher zu der neuen Skateboard-Rampe im Park zu kommen?", fragte ich und hoffte insgeheim, dass sie 'Ja' sagen würde. Ich brauchte dringend Ablenkung von schnöden Alltag.

"Oh, ähhm ... sorry, aber heute kann ich nicht. Meine Mannschaft spielt." Bedauernd hob sie die Schultern. Natürlich, Basketball. Beas Leben.

"Ist nicht so schlimm. Ein anderes Mal dann."

Als Bea gegangen war, hatte ich keinen blassen Schimmer, was ich tun sollte. Nachdem ich gefühlte hundert Mal durch's Haus getigert war, griff ich mir ein Buch.

Beim Lesen vergaß ich alles um mich herum. In meinen Büchern konnte ich einfach ich selbst sein, niemand beschwerte sich über mich.

Leider half mir das heute auch nicht weiter. Innerlich kochte ich vor Wut. Christopher Merkwein. Wenn ich diesen Namen hörte, ballte ich automatisch die Fäuste. Irgendwann, so schwor ich mir, würde ich diesen arroganten Arsch dermaßen zusammenschlagen, dass er sich wünschen würde, nie geboren worden zu sein.

Die Haustür wurde aufgeschlossen. Ich schmiss das Buch unters Bett und schaltete den Fernseher ein. Keine Minute später stand mein Vater im Zimmer und beäugte mich misstrauisch.

"Ich hätte schwören können, dass der vorhin noch nicht an war. Du liest doch nicht etwa wieder? Bücher sind einfach nur ein Haufen geschriebener Quatsch von irgendwelchen gelangweilten Schwachköpfen."

Ich ignorierte den letzten Teil.

"Tja, dann hast du dich eben geirrt", meinte ich schnippisch.

"So redest du nicht mit mir, Sohn, so nicht", knurrte mein Vater und packte mich am Kragen. "Vergiss nicht, das Internat ..."

Natürlich, das "Internat". Genauer gesagt handelte es sich dabei um eine Militärschule. Außerdem hasste ich es, wenn mein Vater mich "Sohn" nannte.

"Mein Name ist Lukas", erwiderte ich mit betont genervter Miene.

"Und ich nenne dich so, wie ich will!", schrie mein Vater und stampfte wutentbrannt aus dem Zimmer. Ich seufzte. In jeder freien Minute ließ mein Vater mich spüren, dass ich nicht erwünscht war. Ich schnappte mir wieder mein Buch und las weiter. Mit 16 würde ich endlich ausziehen können. Leider musste ich darauf noch zwei ganze Jahre warten.

Am nächsten Morgen riss mich ein lautes, misstönendes Geräusch aus dem Schlaf. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich realisierte, dass das Gebrüll nicht von einem Tier, sondern von meinem Vater stammte.

"Diese verfluchten Idioten, ich hatte ihnen doch mitgeteilt, dass ich dieses bescheuerte Käseblatt nicht mehr bekommen möchte! Na wartet, ihr werdet noch euer blaues Wunder erleben!"

Ich warf einen Blick auf den Wecker. Erst halb fünf! Gähnend drehte ich mich wieder im Bett um und schloss gerade die Augen, als mein Vater bellte: "Aufstehen Junge, Zeit für die Schule!"

Hääh, wieso Schule? Es war doch noch viel zu früh!

"Was ist los?", fragte ich schlaftrunken.

"Heute geht's ins Internat. Der Schulleiter hat eben zugesagt.", erwiderte mein Vater mit einem süffisanten Grinsen.

"Wie bitte?" Perplex starrte ich ihn an. Sicher scherzte er.

"Hast du Tomaten auf den Ohren?! Du gehst heute ins Internat."

Na toll, das hatte mir gerade noch gefehlt. Dort würde ich niemanden haben, mit dem ich auch nur ansatzweise mal vernünftig reden konnte und Bea würde ich nur noch in den Ferien sehen.

Da ich allerdings wusste, dass mein Vater keinerlei Widerspruch duldete und ich keine Chance gegen ihn hatte, stand ich auf und ging ins Bad.

Als Kind hatte ich mir immer eine Mutter gewünscht. Jemand, der mich in den Arm nahm und tröstete, nachdem mein Vater mich wieder einmal geschlagen hatte. Jemand, mit dem ich über all meine Probleme reden konnte.

Mittlerweile wusste ich, dass sich nie irgendjemand jemals um mich gesorgt hatte, mit Ausnahme von Bea. Seit der vierten Klasse waren wir nun schon befreundet, und immer wenn ich nicht mehr weiter wusste, war ich zu ihr und ihren Eltern gegangen. Die Gerleins hatten mich jedes Mal freundlich aufgenommen und mich wie ihren eigenen Sohn behandelt.

Die Bahnfahrt in die zwei Stunden entfernte Militärschule schien ewig zu dauern. Ich tippte eine SMS an Bea: Bin auf dem Weg zu den menschlichen Gorillas.

"Nächste Station: Bad Falau", verkündete die gut gelaunte Stimme des Bahnfahrers aus den Lautsprechern und ich griff müde nach meinem Koffer. Vom Bahnhof aus waren es nur noch wenige Minuten. Der alte Mann, den ich nach dem Weg fragte, musterte mich mitleidig, während er mir die gewünschte Auskunft gab. Wahrscheinlich gab ich auch ein wirklich erbärmliches Bild ab, wie ich so verlassen durch die ziemlich verschlafene Kleinstadt irrte: Ein blasser, für sein Alter recht kleiner Junge mit fast schwarzem Haar, braunen Augen, um die Nase herum ein paar Sommersprossen. Genau der richtige Kandidat für eine Militärschule.

Der große, hässliche Klotz, welcher nun vor mir aufragte, sah alles andere als einladend aus. Das gesamte Gebäude wurde von einer hohen Mauer mit Stacheldraht oben drauf begrenzt und gab mir das Gefühl, vor einem Gefängnis zu stehen. In gewisser Hinsicht war es das ja auch.

Ich hatte kaum die Klingel gedrückt, als schon das Tor aufschwang und ein großer, hagerer Mann mittleren Alters mich mit strenger Miene musterte. Er trug einen steifen Anzug, hatte kurzes graues Haar, stechende schwarze Augen und tiefe Stirnfalten. Insgesamt sah er genauso grau und trostlos aus wie seine Umgebung.

"Forkner, richtig?" Ich nickte stumm.

"Sie sind also der neue Problemfall. Ihr Vater hat mir schon erzählt, dass Sie einen äußerst schwierigen Charakter besitzen. Eine weise Entscheidung, Sie hier herzuschicken bei Ihrer Vorgeschichte."

Gerne hätte ich gewusst, was mein Vater diesem Heini eigentlich über mich zusammengesponnen hatte. Ich lächelte dem Mann freundlich zu.

"Grins nicht so blöd. Der Alltag an diesem Internat ist keine Kindergartenparty. Hier herrscht Disziplin und Ordnung", fuhr mich Mister Ich-habe-so-viel-Humor-wie-ein-Tintenfisch unwirsch an. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und lief zur Eingangstür, welche wirkte, als wäre sie einem James Bond-Film entsprungen. Brav dackelte ich ihm hinter her.

Drinnen sah es aus wie in einem Hochsicherheitstrakt. Die wenigen Fenster lagen in zwei Meter Höhe und außen waren Eisengitter angebracht.

"Ihr Zimmer befindet sich im vierten Stock. Die dritte Tür auf der linken Seite. Der Unterricht beginnt in fünf Minuten. Wenn Sie nicht zu spät kommen wollen, sollten Sie sich ein bisschen beeilen", sagte der Mann, dessen Name ich immer noch nicht kannte, in gebieterischem Tonfall. Theatralisch seufzend begann ich mein Gepäck die hohen Stufen nach oben zu hieven. Die Treppen waren einfach riesig, und als ich endlich im vierten Stock ankam, rannen mir Schweißperlen über die Stirn.

Mein Zimmer war in etwa so gemütlich wie eine öffentliche Toilette. Abgesehen von dem quitschenden Metallgestellbett stand nur ein kleiner ramponierter Holzschrank im Raum, welcher mit einer Garnitur klobiger grau-brauner Schuluniformen gefüllt war. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass ich schon zwei Minuten zu spät zum Unterricht dran war, und so machte ich mich auf die Suche nach den Klassenräumen. Zufälligerweise hatte der liebe Herr ganz vergessen mir zu sagen, wo sich diese befanden. Als ich nach fast 10 Minuten endlich die Unterrichtsräume fand und mich fragte, welcher davon nun meiner war, ging die Tür neben mir auf und ein Junge in meinem Alter, der mich um bestimmt 20 Zentimeter überragte, wurde hinausgeschickt.

Gerade als er die Tür wieder hinter sich schließen wollte, sagte eine mir wohlbekannte Stimme: "Ach, der kleine Forkner möchte auch noch zur Stunde erscheinen. Komm doch rein und dann zeige mir doch gleich mal Shuangyashan auf der Landkarte."

Was für ein Pech ich doch hatte. Ausgerechnet der Typ vom Empfang war einer meiner Lehrer.

Der Junge im Flur grinste mich hämisch an. "Frischfleich!"

"Vielen Dank für deine freundliche Begrüßung", meinte ich milde lächelnd und betrat den Klassenraum.

Ohne mit der Wimper zu zucken, schnappte ich mir den Zeigestock und deutete auf die asiatische Stadt.

"Korrekt", sagte der Lehrer mit gleichgültiger Stimme, aber er schien sich sichtlich über mich zu ärgern. "Setz dich dort drüben an den freien Tisch."

Dreißig grinsende Gesichter starrten mich an, während ich zu meinem Platz schlenderte.

Zum Glück ließ mich Herr Eden (Endlich hatte ich erfahren, wie er hieß, aber sein Name passte ganz und gar nicht zu ihm.) den Rest der Geografiestunde in Ruhe, während meine neuen Mitschüler mich die ganze Zeit mit Papierkügelchen bewarfen.

Es ging weiter mit Sport, was schon immer eines meiner Lieblingsfächer gewesen war. Der Sportplatz hatte gigantische Ausmaße und war wie eine professionelle Rennbahn bei den Olympischen Spielen gestaltet. Ein kleines Lächeln glitt über mein Gesicht, erlosch aber gleich wieder, als der Junge, welcher vor der Tür hatte stehen müssen, und sein Kumpel auf mich zukamen. Das konnte ja heiter werden. Ob ich sie auf einen gemütlichen Plausch einladen sollte? Wobei sie eigentlich eher so aussahen, als wollten sie genau das Gegenteil.

"Na, Frischfleisch, hat dein Daddy dich hier her verfrachtet, weil du unartig warst? Du siehst doch total verweichlicht aus, vielleicht sollten wir dir ja die Fresse polieren, damit du verstehst, wie es hier zugeht." Er grinste mich verbindlich an, was auf seinem groben Gesicht ziemlich fehl am Platz aussah.

"Danke, ich verzichte", erwiderte ich kühl. "Und nur damit du's weißt: Meine Familie geht dich gar nichts an."

"Ist das so? Dann sollte das aber schnell geändert werden." Drohend kam der Junge auf mich zu.

"Julian, lass den Knirps in Ruhe, gegen dich hat er doch eh keine Chance", meinte ein stämmiger Typ, welcher nun lässig auf uns zuschlenderte. Das hinterlistige Funkeln in seinen Augen verriet ihn allerdings sofort. "Wobei wir noch ein bisschen Zeit haben ..."

Blitzschnell hatte der Kerl mir die Arme auf den Rücken gedreht und Julian nahm mich in den Schwitzkasten. Ich versuchte mich aus ihrem Griff zu winden, aber sie waren zu stark.

"Verdammt noch mal, was wollt ihr?", zischte ich wütend.

"Spaß", erwiderte Julian unschuldig, und beide lachten hämisch.

2. Kapitel 

 

Während Julians anderer Handlanger Schmiere stand, schleiften die beiden Jungen mich zur Toilette. Ich ahnte Böses und trat wild um mich.

Sie verriegelten die Tür hinter uns und ich nutzte meine Chance und riss mich aus der Umklammerung los.

"Pass auf, Finn!", rief Julian, als ich gerade zu einem Tritt gegen das Schienbein des stämmigen Jungen ausholte. Eine Faust traf mich im Magen und ich krümmte mich. Blindlings schlug ich um mich, bis ich auf Widerstand stieß. Jemand stöhnte auf. Schnell rappelte ich mich hoch und wollte gerade die Toilettentür aufschließen, als plötzlich alle Luft aus meiner Lunge gepresst wurde. Vollkommen überrumpelt schwankte ich wie ein Betrunkener. Was zur Hölle ...?! Die Welt um mich herum drehte sich und mir wurde schwarz vor Augen. Gleich würde ich ersticken, gleich ... Ich röchelte und auf einmal schmeckte ich Meersalz. Wohltuende Luft strömte in meine Atemwege und ich öffnete die Augen.

Wasser brach sich an den Felsen, welche die kleine Bucht, in der ich stand, umgaben. Eine kühle Brise erfrischte die von der Sonne erwärmte Luft.

Wo zum Teufel war ich?

Gerade eben hatten mich doch noch Julian und Finn zusammenschlagen wollen - und jetzt?

Verwirrt musterte ich die Landschaft, als ich plötzlich das Knirschen mehrerer Schuhpaare und Stimmen hörte. Eine Gruppe von Männern mittleren Alters kletterte über einen schmalen Pfad hinunter an den Strand. Schnell kroch ich hinter einen großen Felsen. Die Typen sahen nicht besonders vertrauenerweckend aus, und da ich immer noch keine Ahnung hatte, wo ich hier gelandet und vor allem, wie ich hierher gekommen war, zog ich es vor, erst einmal das Geschehen zu beobachten.

Inzwischen hatten die Männer mein Versteck fast erreicht, und nun konnte ich Einzelheiten erkennen. Jeder von ihnen trug ein armlanges Schwert am Gürtel, und die meisten von ihnen besaßen auch mindestens fünf Messer. Ihre Kleidung war aus irgendeinem Tierfell angefertigt und an den Füßen hatten sie kniehohe Lederstiefel.

Für mich sahen sie so ungefähr aus wie wandelnde Yetis mit Waffen, und ihre langen verfilzten Haare und Bärte verstärkten diesen Eindruck noch.

Da ich mich in ihrer Gegenwart äußerst unwohl fühlte, kroch ich langsam und vorsichtig ein Stück zurück – und übersah dabei natürlich eine Ansammlung von Steinen, die laut polternd zur Seite rollten. Prompt horchten die Männer auf, und ehe ich mich versah, hatte mich der Größte der Typen am Arm gepackt und grob ins Licht gezerrt.

"Na sieh mal einer an, wen haben wir denn da? Doch nicht etwa ein Spion Ihrer Hoheit? Sag, wer bist du, Bursche?" Der Griff um meinen Arm verstärkte sich.

"Ich heiße Lukas", erwiderte ich unsicher.

"Ach ja, und du hast sicher nichts Falsches getan, nicht wahr, Lukas? Halte jemand anderen zum Narren!"

Der Mann nickte dem zu, der zu seiner Rechten stand. Daraufhin holte dieser mit der Faust aus und stieß sie mir mit aller Kraft ins Gesicht. Ein stechender Schmerz durchfuhr mich, als meine Nase brach. Ich taumelte rückwärts, und dann wurde mir schwarz vor Augen.

 

Ich blinzelte und richtete mich stöhnend auf. Mein Kopf fühlte sich so an, als ob jemand gegen meine Schädeldecke hämmern würde, und an meiner Nase spürte ich getrocknetes Blut kleben. Bruchstückhaft kam die Erinnerung zurück. Ja, dieser eine Typ hatte mir ins Gesicht geschlagen, und dann war ich wohl ohnmächtig geworden.

Ich blickte mich um. Überall nur kalter grauer Stein. Ein winziges vergittertes Fenster warf einen schmalen Streifen Tageslicht auf den Boden. Eine Zelle. Die Männer hatten mich in ein Gefängnis gebracht.

Kalter Schweiß brach auf meiner Stirn aus. Ruhe bewahren, ein- und ausatmen. Bloß einen kühlen Kopf bewahren, mahnte ich mich selbst. Sieh dich erst einmal richtig um, bevor du urteilst.

Die Zelle war relativ klein, ich konnte sie mit drei großen Schritten durchqueren. Sie war vollkommen leer, und außer dem knapp bemessenen Fenster gab es keine weiteren Öffnungen oder Zugänge. Ich runzelte die Stirn. Das Fenster war selbst für ein Meerschweinchen zu klein, wie hätte ich dort hindurch passen sollen? Allerdings war keine Tür oder ähnliches vorhanden, aber irgendwie musste ich doch hier herein gebracht worden sein, oder nicht?

Mein Kopf schmerzte von all den unerklärlichen Dingen und eine Träne rann leise aus meinem Augenwinkel die Wange hinunter. Hastig wischte ich sie weg. Ich musste stark bleiben. Vielleicht war das alles ja bloß ein riesiger Irrtum, versuchte ich mich selbst zu ermutigen, auch wenn ich nicht wirklich daran glaubte.

Mein Zeitgefühl war mir schon völlig verloren gegangen und ich wünschte mir, dass irgendjemand mir alles logisch erklärte. Ich sehnte mich mehr denn je nach etwas Vertrautem, aber da war nichts. Schließlich sank ich in einen unruhigen Schlaf.

 

Am nächsten Morgen hörte ich draußen Stimmen und Gebrüll. Ich richtete mich auf und trat zum Fenster.

Es war zu hoch, als dass ich wirklich viel hätte erkennen können, aber ich vernahm die Tritte unzähliger Stiefel und ab und zu das laute Knallen einer Peitsche. Ich versuchte mir zusammenzureimen, warum diese Männer mich gefangen genommen hatten. Anscheinend glaubte ihr Anführer wirklich, dass ich ein Spion der Königin war. Demzufolge waren sie höchstwahrscheinlich keine Freunde von ihr. Ich horchte weiter auf die Geräusche von draußen, aber wer auch immer dort am Werk war, sprach eine merkwürdige, kratzig klingende Sprache, die ich zu keinem mir bekannten Land zuordnen konnte.

Da ich sonst nicht wusste, was ich hätte tun können, rollte ich mich zusammen und schloss die Augen. Vielleicht war es ja im Nachhinein nützlich, wenn ich gut ausgeschlafen war, und außerdem fühlte ich mich aus irgendeinem Grund so müde wie schon lange nicht mehr.

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Meine Kehle brannte vor Durst und mein Magen war nur noch eine einzige leere Hülle. Ich hatte jetzt seit zwei Tagen nichts mehr gegessen und getrunken. Sollte das mein Schicksal sein, in einem Kerker zu verrecken? Ich versuchte zu sprechen, aber kein einziger Ton kam heraus.

Erst jetzt bemerkte ich, was mich geweckt hatte. Vor meinem Fenster unterhielten sich Leute und ich konnte zwei Paar Stiefel erahnen. Ich schnappte einige Gesprächsfetzen auf (diese Personen sprachen offenbar deutsch).

"... können nicht mehr länger warten ... - ... stellt Gefahr für Deagônis dar ... - ... möglicherweise ein Spion von Sordía ..." Der Sprecher senkte die Stimme. "... fremdartig ... merkwürdige Kleidung ..." Sie reden von mir, wurde mir in diesem Moment bewusst.

"...beeilen ... ihnen darf nichts zu Ohren kommen."

Die Personen entfernten sich vom Fenster und alles war wieder ruhig.

3. Kapitel

Nachdem ich kaum mehr als zwei Stunden geschlafen hatte, spürte ich etwas Hartes an der Seite. Jemand stieß mir grob die Stiefelspitze in die Rippen.

"Aufstehen, na los, mach schon!", bellte eine kalte Stimme. "Bûrkan wartet ungern."

Mühsam richtete ich mich auf, und schon hatte ich eine Speerspitze im Rücken. Auf unangenehme Weise erinnert mich dieser Jemand an meinen Vater.

"Ganz langsam, Junge. Du tust jetzt genau das, was ich sage. Eine falsche Bewegung und ..."

Der Druck des Speers wurde stärker.

"Vergiss nicht, er will ihn lebend", flüsterte der zweite Wachmann dem anderen zu. Widerwillig nickte mein Bewacher, zumindest nahm ich das an.

"Aber von 'unverletzt' hat er nichts gesagt", meinte der Typ und lachte dreckig.

"Lass uns endlich gehen. Bûrkan wird sonst noch ungeduldig."

"Und wie wollt ihr mich hier herausbekommen? Glaubt ihr im Ernst, ich passe durch dieses Fenster?" Ich blickte die Männer herausfordernd an.

"Oh, keine Sorge, deine Wissbegierde wird gleich gestillt werden", antwortete der, der mich in Schach hielt. "Ganz ruhig ..."

Sie traten an die Wand – und liefen einfach hindurch. Mich zogen sie hinter sich her. Das Einzige, was ich spürte, war ein unangenehmes Zwicken auf der Haut, wie Ameisenbisse.

"Wie habt ihr ...? Das ist doch unmöglich!"

Die Wachen grinsten sich vielsagend an. "Anscheinend bist du wirklich nicht von hier", meinte der eine trocken.

Inzwischen befanden wir uns in Etwas, das aussah wie eine in Stein gehauene Festung. Das Gebäude reichte vom Boden bis zur Decke einer gut 30 Meter hohen Höhle. An den Wänden waren Bilder eingemeißelt. Kleine Männer und Frauen, die mit Spitzhacken die Festung aus dem Stein formten. Auf ihren Gesichtern zeichnete sich Erschöpfung und Angst ab. Alle waren aneinander gekettet.

Die gegenüberliegenden Seite des langen Gangs, durch den meine Bewacher mich führten, zeigte dagegen eine Schlacht. Abertausende Tote, die nicht immer menschlich wirkten. Riesige Wesen, die sich mit Krallen und Zähnen auf ihre hilflosen Opfer stürzten. Kämpfende Männer, Frauen und Kinder. Aber vor allem: Immer wieder das Abbild eines Jungen, vielleicht zwei Jahre jünger als ich selbst, der sein Schwert in den Körper eines großen, elegant aussehenden Mannes mittleren Alters stieß. Auf dem Gesicht seines Mörders zeichnete sich eine fast bestialisch wirkende Grausamkeit ab. Ich wandte angewidert den Blick zur Seite. An was für einen unmenschlichen Ort war ich nur geraten?!

Endlich stieg der Weg an und die Wachen stießen mich in einen, von grünlichem Licht erleuchteten Raum. Die ungewöhnliche Beleuchtung rührte von einigen in die Wand eingelassenen Kerzenleuchtern her, deren Flammen smaragdgrün schimmerten. Sie rochen so stark nach ranziger Milch, dass ich würgen musste.

"Herzlich Willkommen in meinem bescheidenen Reich, Lukaspis. Schön, dass meine Männer dich zu mir gebracht haben", sagte eine hinterlistig klingende Stimme und ein riesiger Mann trat ins Licht der Kerzen. Sein massiger, muskulöser Körper war in einen schweren Fellmantel gehüllt, doch trotzdem bewegte er sich so geschmeidig wie eine Katze. Die schwarzen, irgendwie hungrig wirkenden Augen musterten mich eindringlich von oben bis unten.

"Wie haben Sie mich genannt?", fragte ich verwirrt.

"Lukaspis. Der Krieger und Heimkehrende. Deine Mutter hatte schon immer einen Sinn für Ironie." Der Typ bedachte mich mit einem derart herablassenden Blick, dass ich unwillkürlich die Fäuste ballte.

"Sie kannten meine Mutter? Wer sind Sie überhaupt?"

"Oh, wie unhöflich, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt! Ich bin Bûrkan, Herr über Numior. Aber natürlich, deine Mutter."

Sein Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen. "Die gute alte Yawía. Einst stand Numior unter ihrer Führung. Wusstest du das? Ach nein, ich vergaß, du bist ja nicht von hier. Eine wirklich bemerkenswerte Frau, schön, stark und mit einem eisernem Willen. Nur leider sah sie in allen immer das Gute, und in mir ist nun mal nichts Gutes. Das musste sie dann dummerweise am eigenen Leib erfahren. Zu schade, eine schrecklich Verschwendung! Es tat mir so unglaublich leid!"

Bûrkans Grinsen war noch breiter geworden.

"Sie haben sie umgebracht!", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ohne es zu bemerken, hatte sich bei Bûrkans Rede mein ganzer Körper angespannt. Warum der Mann seltsamerweise wusste, dass ich nicht von diesem merkwürdigen Ort kam, schien mir völlig nebensächlich.

"Na, na, na, so schlimm war es nun auch wieder nicht", verteidigte sich Bûrkan, aber sein Gesichtsausdruck sprach Bände. "Yawía hätte es wahrscheinlich eh nicht mehr lange geschafft. Dieser Druck, wenn man ein ganzes Land regieren muss ..." Er hob theatralisch die Hände. "Aber nun zu dir, Lukaspis, wo warst du die letzten 15 Jahre? Seit deinem Verschwinden ist viel passiert."

Ich runzelte die Stirn. Bûrkan konnte doch unmöglich ahnen, dass ich aus einer anderen Welt (inzwischen war ich mir sicher, dass dies der Fall war, obwohl mir bei der Vorstellung heiß und kalt wurde) kam, oder doch? Und warum behauptete er, ich wäre schon einmal hier gewesen?

"Ich verstehe nicht, was Sie meinen", sagte ich.

"Du verstehst nicht? Ganz einfach, du wurdest in Elyrias geboren, so viel ist sicher, mein Junge. Außerdem weiß ich, dass du bis vor zwei Tagen in einer der Parallelwelten gewohnt hast. Sag mir, auf welchem Weg bist du hergekommen?"

Ein animalisches Leuchten trat in die Augen des riesigen Mannes und er blickte mich erwartungsvoll an.

Ich wich einen Schritt zurück. Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass ich Bûrkan auf keinen Fall etwas über meine Welt, geschweige denn, wie ich hier her gelangt war, erzählen durfte.

"Sie sind ein Mörder, warum sollte ich?", erwiderte ich stattdessen.

Die Miene des riesigen Mannes verwandelte sich in eine hasserfüllte Maske.

"Überlege es dir gut, Knabe. Wenn du es mir erzählst, wird dir absolut nichts passieren und ich werde dir helfen, an den Ort zurückzugelangen, von wo du herkommst."

Die Vorstellung nach Hause zurückzukehren, war verlockend, aber schon weil er meine Mutter getötet hatte, erzählte ich ihm nichts.

"Vergessen Sie es", zischte ich und wandte mich ab.

"Gut, dann wirst du eben auf qualvolle Art und Weise lernen müssen, dass man es sich mit mir nicht verscherzen sollte."

Bûrkan spreizte die Finger der rechten Hand und grüne Lichtblitze schossen daraus hervor. Bevor ich reagieren konnte, hatten die Strahlen meinen rechten Arm getroffen und ich schrie auf vor Schmerz. Eine sengende Hitze schoss von meinen Fingerspitzen hinauf in meine Schulter.

"Das würde deiner Mutter sicher nicht gefallen", höhnte Bûrkan, und als er einen Schritt auf mich zu machte, fühlte ich mich, als ob mich jemand von innen heraus verbrannte. Mein Körper sackte in sich zusammen und ich fiel auf die Knie. Ich konnte nicht denken, nichts fühlen bis auf dieses grässliche Gefühl. Der Wunsch bewusstlos zu werden, damit die Qual aufhörte, überlagerte mein gesamtes Denken. Meine Augenlider schlossen sich und ich dümpelte in eine Art Trance hinüber.

Dann, ganz plötzlich, hörte die Tortur auf. Hatte sie Sekunden, Minuten, Stunden gedauert? Ich konnte mich nicht erinnern, aber ich fühlte mich nicht mehr wie ein Lebewesen mit Herz und Verstand. Es war, als schwebte ich neben mir.

Zu schwach um aufzustehen, nahm ich den Geruch von Rosen und Melisse wahr. Der Duft umhüllte mich vollkommen, liebkoste mich, wiegte mich wie eine Mutter in ihren Armen.

Bûrkan dagegen stöhnte auf und griff sich an die Brust. Er taumelte, wie von einer unsichtbaren Macht in den Magen geschlagen, zurück. Dichter Nebel begann an seinen Beinen hinauf zu wabern.

Das ist meine Chance, dachte ich, und stand schwer atmend auf. Ich stolperte aus dem Raum, stürzte, rappelte mich wieder auf und rannte den Gang, den ich vorhin mit den beiden Wachsoldaten passiert hatte, zurück. Endlich stand ich keuchend auf dem Vorhof der steinernen Festung. Das Schauspiel, welches sich mir bot, war entsetzlich.

Überall liefen schwer bewaffnete Soldaten herum, aber das war es nicht, was mich schockierte. Die Mehrzahl der Bevölkerung bestand aus Monstern! Fünfäugige, acht Meter große Riesen, unnatürlich große Löwen und Tiger, Wesen, die so schrecklich verunstaltet aussahen, dass man sie gar nicht beschreiben konnte ...

Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Wie sollte ich hier ungesehen rauskommen? Noch schien mich keiner bemerkt zu haben, aber wenn ich das riesige Tor mit der Zugbrücke ansteuern würde ...

Ich brauchte einen Plan, und zwar dringend. Ratlos blickte ich mich um, als mir auffiel, dass immer mal wieder einer der Krieger durch eine winzige Tür in der Befestigungsmauer verschwand. Vielleicht ist das ein weiterer Weg nach draußen, überlegte ich. Ich kroch hinter eines der Fässer, die an der Mauer lehnten, und bewegte mich so geschützt zur Tür nach vorne. Dann erblickte ich das Ungeheuer.

Ein gut drei Meter großes Etwas mit grauer, ledriger Haut, welche von einem dünnen Panzerhemd bedeckt wurde. Sein Gesicht sah genauso aus wie sich meines nach dem Faustschlag anfühlte: verquollen und eingedrückt. Die Hände des Wesens bestanden aus drei gekrümmten knochigen Fingern, die in lange, messerscharfe Krallen übergingen. Mit wachsamem Blick beobachtete es seine Umgebung, allerdings schien sein Geruchssinn ebenso exzellent wie seine Sehkraft zu sein.

Wie sollte ich bloß an diesem Vieh vorbeikommen? Ich kroch noch ein Stück vorwärts. Nun stand das Ungeheuer so nah bei mir, dass ich es, wenn ich wollte, hätte berühren können.

Da spürte ich auf einmal etwas Hartes unter meinem Knie. Ein heruntergefallenes Holzschild, vermutlich von dem Laden hinter mir, der langsam aber sicher verfiel. Die kryptischen Zeichen darauf konnte ich zwar nicht deuten, aber als Schlagwaffe war es sicherlich zu gebrauchen.

Dummerweise lag das gute Stück direkt neben den verhornten Füßen des Ungeheuers. Ich streckte die Hand aus. Wenn es sich jetzt umdrehen würde ...

Ja, ich hatte es geschafft! Innerlich jubilierte ich. In diesem Moment grunzte das Vieh und drehte sich schwerfällig um. Seine handtellergroßen Glubschaugen starrten mich an und es stieß ein Triumphgeheul aus, bei dem sich meine Nackenhaare aufstellten.

4. Kapitel

 

Dann ging alles ganz schnell. Bevor es sein riesiges Beil heben konnte, schlug ich ihm meine improvisierte Waffe mit aller Kraft ins Gesicht. Ich keuchte auf, da ich unbewusst mit dem rechten Arm zugeschlagen hatte. Das Etwas schwankte und brüllte wütend, aber es trug keinen Schaden davon. Ich war allerdings schon aufgesprungen und im Begriff, nach draußen zu stürmen.

Es warf sein Beil, und hätte ich nicht im letzten Moment die Tür zugeschlagen, wäre das Teil direkt in meinem Rücken stecken geblieben. So durchbohrte es nur das morsche Holz meines Fluchtweges.

Reflexartig zog ich mit der unverletzten Hand einen dünnen Baumstamm von dem Haufen neben der Festungsmauer, welcher dort anscheinend als Feuerholzlager diente, und verbarrikadierte damit die Tür. Rasend vor Wut schlug das Monstrum von innen dagegen. Okay, jetzt war Rennen angesagt. Ich spurtete los, als ginge es um mein Leben. Was ja irgendwie auch stimmte.

Nach knappen fünf Minuten wagte ich es, mich umzudrehen. Gerade stürmte das riesige Vieh mit einem noch größeren Kumpel durch das Tor in meine Richtung. Die gepflasterte Straße bot keinen guten Sichtschutz, also zog ich mich rasch in das schützende Dunkel des nahe liegenden Waldes zurück. Dann fiel mir ein, was für ausgezeichnete Augen das Ungeheuer hat. Fieberhaft überlegte ich, was ich tun könnte, und erklomm schließlich eine mittelgroße Fichte. Klettern hatte mir leider noch nie besonders gelegen, und da ich den rechten Arm immer noch nicht schmerzlos bewegen konnte (was hatte dieser Bûrkan nur damit angestellt?), ging es quälend langsam voran.

Meine schmächtige Statur war mein einziges Plus, und ich hoffte inständig, dass die Wesen, welche mich verfolgten, nicht auch noch klettern konnten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich endlich oben an. Vorsichtshalber rieb ich meine ohnehin schon zerrissenen und schmutzigen Klamotten mit Harz ein.

Hoffentlich hielten die empfindlichen Nasen der Wesen mich so für einen Teil des Baumes. Sie hatten sich inzwischen schon gefährlich nah meinem Versteck genähert und brüllten sich in einer unverständlichen Sprache aus Grunz-und Knarzlauten etwas zu. Geschickt durchkämmten sie unter mir die Büsche und Sträucher und sahen auch manchmal misstrauisch in die Baumkronen hinauf. Ich zog mich noch weiter ins Geäst zurück. Mein Herz pochte verräterisch laut.

Bis weit in die Nacht suchten die Ungeheuer den Wald nach mir ab, aber schließlich rief der mit dem Beil dem anderen etwas auf Grunzisch zu, und die beiden machten sich auf den Weg zurück in die Festung.

Ich konnte mich trotzdem noch nicht entspannen. Vielleicht brachten sie jetzt Verstärkung mit? Obwohl mich im Laufe der Nacht eine bleiernde Müdigkeit überkam, wagte ich es nicht, die Augen zu schließen aus Angst, ich könnte in der Kälte erfrieren und nicht wieder aufwachen. Ich verfluchte das dünne Sweatshirt, welches ich trug, denn obgleich auch in dieser Welt noch Spätsommer herrschte, war es nachts dennoch empfindlich kalt.

Hinzu kam, dass nun bereits der dritte Tag ohne Essen und Trinken für mich anbrach und mir nichts weiter übrig blieb, als den morgendlichen Tau von den Pflanzen abzulecken.

Im Morgengrauen brach ich auf; ich war halb ohnmächtig und konnte meinen Körper kaum mehr vor Zitterkrämpfen kontrollieren.

Mühsam schleppte ich mich voran; mein benebeltes Gehirn fragte sich, wieso ich nicht schon längst umgekippt war.

Eine Stunde verging, und langsam aber sicher wusste ich, dass mir höchstens noch 30 Minuten blieben, vielleicht auch weniger. Im Nachhinein wusste ich wirklich nicht mehr, wie ich es überhaupt soweit geschafft hatte. Die Landschaft, durch welche ich lief, glich einer Steppe mit wenigen Bäumen und spärlichem Graswuchs hier und da. Der trockene Boden staubte unter meinen Chucks und ich musste husten, wenn mir eine vereinzelte Windböe den Schmutz in die Lungen wirbelte.

Plötzlich vernahm ich ein Rauschen. Wenn mich jetzt jemand angriff, würde ich mich nicht mehr wehren können. Mit letzter Kraft schleppte ich mich um eine weitere Biegung des sich stetig windenden Pfades – und erblickte meine Rettung. Zuerst fragte ich mich, ob der große Wasserfall vor mir nicht bloß eine Wahnvorstellung meines ausgetrockneten Gehirns wäre, aber alles wirkte so real, und ich konnte sogar den kühlen, ein wenig herben Geruch des Wassers riechen.

Um das felsige Flussbett, in welches der Wasserfall mündete, wuchsen stachelige Sträucher mit großen roten Früchten, die entfernt an Äpfel erinnerten.

Ich stolperte voran und warf mich vor dem Wasser auf den feuchten erdigen Boden. Gierig trank ich das angenehm kühle Nass und wälzte mich hinein, bis ich keine Flüssigkeit mehr aufnehmen konnte. Mein Magen fühlte sich merkwürdig hohl an und mein Blick fiel auf die Sträucher. Ob die Früchte giftig waren?

Entschlossen griff ich nach einer und biss hinein. Trotz ihres festen Aussehens waren sie innen weich und klebrig süß wie Pfirsiche. Der Saft lief mir das Kinn hinunter, doch das störte mich nicht weiter, ich schnappte mir bereits die nächste Frucht.

Während des Essens musterte ich mein Spiegelbild im klaren Wasser. Ich bot wirklich einen erschreckenden Anblick. Meine schwarzen Haare standen mir wirr und zottelig vom Kopf ab; ich wirkte so, als hätte ich gerade in eine Steckdose gefasst. Mein Gesicht war blutverklebt und meine Nase sah tatsächlich fast genauso aus wie die des Wesens in der Festung. Die Hautfarbe hatte sich zu einem kränklichen Weiß verfärbt, meine Lippen waren trocken und aufgeplatzt und die einstige Farbe meiner Klamotten konnte man unter dem ganzen Dreck gar nicht mehr erkennen.

Ich schöpfte ein bisschen Wasser mit der hohlen Hand aus dem Fluss und wusch mir damit das Blut und den Staub aus dem Gesicht. Dann nahm ich noch eine Handvoll Wasser und säuberte mir notdürftig die Haare. Schließlich warf ich noch einen Blick ins Wasser. Ich sah zwar immer noch aus wie ein abgerissener Landstreicher, aber wenigstens wie ein halbwegs gepflegter.

Zufrieden legte ich mich auf den feuchten Boden nahe beim Wasserfall und lauschte den entspannenden Geräuschen des Flusses.

Ich musste wohl eingenickt sein, als mich ein ungehaltenes Piepsen aus dem Schlaf riss. Stöhnend richtete ich mich auf und erblickte zu meinen Füßen ein großes grünes Blatt. Allerdings gab es weit und breit weder einen Baum noch einen Busch.

Misstrauisch beäugte ich das Blatt und wollte mich gerade wieder hinlegen, als das Piepsen erneut ertönte. Nun lag das Blatt auf meinem Schoß!

Verwundert stupste ich es an. Fast augenblicklich fuhr mir ein brennender Schmerz durch den Finger. Fluchend zog ich meine Hand zurück und betrachtete sie. Aus einer kleinen Bisswunde an meinem Zeigefinger sickerte hellrot glänzendes Blut. Stirnrunzelnd musterte ich das Blatt, welches gerade auf dicken grünen Stummelbeinen davonhoppelte. Dabei bewegte es sich rückwärts mit seiner Kehrseite nach oben wie ein ziemlich großer giftgrüner Käfer. Was ich zuerst für eine spezielle Maserung gehalten hatte, entpuppte sich nun als winziges Gesicht. Selbiges zeichnete sich durch schräg stehende grüne Augen, fehlende Nase, spitze Ohren und einen verhältnismäßig großen Mund mit nadelspitzen Zähnen aus.

Das Viech erinnerte mich irgendwie an die Gnome aus "Harry Potter". Allerdings beunruhigte mich die Tatsache, dass aus der winzigen Wunde an meinem Finger nicht nur Blut, sondern auch wässriger grüner Schleim quoll.

Alarmiert roch ich daran, doch das Zeug war geruchlos. Trotzdem fühlte ich eine verräterische Taubheit um meine Fingerkuppe herum. Hektisch tauchte ich meine Hand ins Wasser. Ich spürte keine Veränderung. Panisch versuchte ich, den Schleim herauszudrücken, aber es kam immer noch mehr. Die Zähne des Wichts mussten giftig sein. Was sollte ich jetzt tun?

Auf einmal wünschte ich mir beinahe, dass Bûrkan oder eine dieser Wachen hier wären. Bestimmt wussten sie, was man beim Biss eines dieser blattähnlichen Biester unternehmen sollte.

Hilflos blickte ich mich um, in der Hoffnung, einen Hinweis für mein weiteres Handeln zu erhalten.

 

Ein Schatten fiel auf den schmalen Weg nahe der Wasserquelle, und ich ergriff den erstbesten großen Stein. Seitdem ich mich in dieser Welt befand, war mir kein einziges Wesen freundlich gesonnen, und auch wenn ich mir schon ziemlich paranoid vorkam, zweifelte ich nicht daran, dass mir gleich wieder jemand nach dem Leben trachten würde.

5. Kapitel

 

Eine gewaltige Staubwolke wirbelte um die Biegung und dann trat ein großer, junger Mann in mein Blickfeld. Er schien ungefähr so alt wie ich selbst zu sein. Seine Kleidung bestand aus einem dünnen weißen Hemd über welchem er eine Weste aus einer Art Wildleder trug. Ein dunkler Umhang wehte ihm um die Schultern und seine Beine und Füße steckten in einer braunen Stoffhose und dazupassenden kniehohen Lederstiefeln. Den Kopf zierte ein großer Hut mit Feder, der mich an einen Piraten erinnerte. An dem breiten Gürtel, welchen der Typ um die Hüfte geschlungen hatte, war ein Schwert in einer schlichten Scheide befestigt.

Die langen schwarzen Haare fielen ihm leicht gewellt über die Schultern und die schräg stehenden verblüffend blauen Augen in dem südländisch wirkenden Gesicht blitzten mich neugierig an.

"Sagt, wer seid Ihr?", fragte er und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ich versuchte mit aller Kraft eine ernste Mine zu behalten, aber es fiel mir schwer anhand der Tatsache, dass dieser Typ, der in meine Klasse gehen könnte, mich siezte. Nein, er siezte mich sogar auf diese altmodische Weise.

"Ich heiße Lukas", sagte ich und langsam kam es mir so vor, als hätte ich in den letzten Tagen hauptsächlich diesen Satz in verschiedenen Variationen heruntergeleiert.

"Eure Kleidung ist ... nun ja ... absonderlich. Ich nehme an, Ihr seid in letzter Zeit weit gereist und habt viel erlebt."

"Ähm ... ja, so kann man das wohl sagen", antwortete ich und merkte zu meinem Entsetzten, dass das Taubheitsgefühl inzwischen meinen noch unverletzten Arm erreichte. Wenn das so weiter ging, würde ich innerhalb kürzester Zeit einen komplett unbrauchbaren Körper haben. In diesem Moment bemerkte der fremde Junge den grünen Schleim.

"Blattlinggift", murmelte er und zog ein getrocknetes blaues Blatt aus seiner Westentasche.

"Hier, drück das darauf." Er hielt mir das Blatt hin, woraufhin ich einen Schritt zurückwich. Garantiert würde ich nicht leichtfertig von irgendeinem dahergelaufenen Kerl ein giftig aussehendes blaues Blatt annehmen. Wenigstens ein kleines bisschen Verstand blieb mir nach all den nervenaufreibenden Tagen noch.

"Los, nimm schon, sonst stirbst du in der nächsten Stunde." Offenbar hatte der Junge erkannt, dass ich keine bedeutende Persönlichkeit oder ähnliches darstellte und sprach nun normal mit mir.

Zögerlich griff ich nach dem Blatt, welches mir der Typ noch immer entgegenstreckte und legte es auf den verletzten Finger. Augenblicklich ließ die Taubheit nach und wenige Sekunden später spürte ich lediglich ein unangenehmes Kribbeln, wie wenn einem ein Körperteil eingeschlafen war.

"Jedes Kind weiß, wie man sich dagegen hilft. Du bist wirklich nicht von hier. Die Bisse von Blattlingen enden tödlich, aber bevor du vollständig gelähmt wirst, hast du noch genug Zeit, dich mit den Blättern des Gerros-Strauch zu behandeln. Man trägt immer einen kleinen Zweig davon mit sich herum, da diese Biester sich überall aufhalten. Übrigens: Mein Name ist Otahn. Ich komme aus Darmain."

Ich kam mir vor wie ein Idiot. Jetzt war wieder einer dieser Momente, in denen ich wünschte, dass ich zu Hause, oder zumindest Bea bei mir wäre. Doch dann fielen mir wieder die Personen ein, welche dort auf mich warteten. Nein, zu meinem Vater und meiner Klasse wollte ich ganz sicher nicht zurück. Auf einmal wirkte alles so unwirklich. Bis vor vier Tagen lebte ich noch in dem spießigen Reihenhaus und führte ein ziemlich beschissenes eintöniges Leben. Jetzt stand ich zusammen mit einem Typen in Mittelalterklamotten mitten in der Wüste, wäre mehrere Male beinahe draufgegangen und fing an, an Magie und Fabelwesen zu glauben. Das Merkwürdigste kam allerdings noch: Mir gefiel die ganze Sache trotz meiner misslichen Lage außerordentlich gut!

Selbst wenn ich aus irgendeinem Grund in eine Versteckte Kamera-Show geraten war und im nächsten Moment jemand: "Sie wurden soeben reingelegt!", rufen würde – es war mir egal!

Dieses Land, dieser Kontinent, diese Welt, Elyrias, alles war wie aus einem meiner Bücher entsprungen und ich, Lukas, stellte den Hauptprotagonisten dar.

Kurzum: Ich erlebte gerade das größte Abenteuer meines Lebens.

"Aus welcher Gegend kommst du?", wollte Otahn wissen und riss mich damit aus meinen Gedanken.

"Berlin", erwiderte ich und bemerkte zu spät, dass mein Gegenüber unter Garantie nicht wusste, wo das lag.

"Nie gehört, ist das eine Region?", fragte Otahn neugierig und ich verkniff mir ein Lachen. Warum erinnerte er mich bloß so an meine Klassenkameraden in Geo, die nicht mal wussten, wo der Mount Everest lag?

"Nee, das ist eine Stadt in ..., ach, du kennst sie eh nicht."

"Nein, diese Stadt ist mir nicht bekannt. Allerdings gibt es in Darmain einen weit gereisten Gelehrten namens Parlon. Vielleicht kennt er ja dieses ... Berlin. Die Voraussetzung, um mit ihm zu reden, ist natürlich, dass du mich in meine Heimatstadt begleitest." Otahn machte eine Pause und schaute mich erwartungsvoll an. Mein Herz machte einen Hüpfer. Endlich traf ich mal jemanden, der mir freundlich gesonnen war.

"Gerne!", freute ich mich und grinste. Otahn schien ebenfalls sichtlich erfreut, dann verdüsterte sich allerdings sein Gesicht.

"Es wird keine leichte Arbeit sein, die anderen davon zu überzeugen, dass du nichts Böses willst, aber ich werde es versuchen. Es sind finstere Zeiten und keiner traut dem anderen über den Weg."

Meine Hochstimmung schwand sofort wieder und mit größter Überwindung sagte ich: "Mach dir keine Umstände wegen mir, ich komme schon zurecht."

"Nein, es ist besser, wenn du mitkommst, du siehst nicht so aus, als würdest du dich hier auskennen."

"Sicher?"

"Ja." Damit schien das Thema für Otahn erledigt und er verfiel für einige Minuten in Schweigen. Schließlich fragte er: "Wie hat es dich in diese karge Gegend verschlagen? Normalerweise meiden wir diesen Teil des Landes, da man nur schwer Nahrung und Wasser findet. Außerdem treiben sich zwielichtige Geschöpfe herum. Du kannst von Glück reden, dass du auf eine wandelnde Quelle gestoßen bist. Sie sind unglaublich selten und zeigen sich nicht jedem."

Mein Kopf schwirrte. Wandelnde Quellen? Und warum sprach Otahn von ihnen, als wären sie Lebewesen? Ich hatte doch bloß eine Oase oder so etwas ähnliches gefunden.

"Du willst nicht wissen, wie ich hier gelandet bin", erwiderte ich und ahnte, dass ich ihm wahrscheinlich alles haarklein erzählen würde müssen.

"Klingt spannend, aber es wäre besser, wenn wir erst einmal aufbrechen, bevor du mir deine Geschichte vorträgst", sagte der junge Mann. "Sicher willst du mir jetzt eh nicht dein ganzes Leben offenbaren. Du kennst mich schließlich kaum." Otahn lächelte verständnisvoll und ich fühlte, wie ich mich entspannte. Ich musste das alles selbst erstmal sacken lassen.

"Du siehst ziemlich abgemagert aus. Hier iss das." Otahn brach mir ein Stück von dem seltsamen, leicht rötlichen Riesenkeks ab, welchen er bei sich trug und Kajusmehlgebäck nannte.

"Es enthält viele wichtige Nährstoffe, aber der Geschmack ist ... nun ja ... etwas gewöhnungsbedürftig", erklärte er von einem Ohr zum anderen grinsend, als ich angewidert das Gesicht verzog. Das Zeug schmeckte wie ein altbackener Hundekuchen überzogen mit Essig (Oh ja, diesen Geschmack kannte ich sehr gut. Chris hatte mich in der Siebten gezwungen, davon zu kosten.) und ich musste mich zusammenreißen um nicht gleich wieder alles auszuspucken.

"Sehr gewöhnungsbedürftig", murmelte ich und bemühte mich das Zeug im Magen zu behalten. Die ekelhafte Mahlzeit tat allerdings ihren Zweck; ich fühlte mich gestärkt und erfrischt.

"Nun sollten wir wirklich losgehen", meinte Otahn, wobei er mich kritisch musterte. "Geht es dir besser?"

"Viel besser", antwortete ich grinsend. "Wenn man mal davon absieht, dass dein Brot nach Dingen geschmeckt hat, die ich besser nicht erwähnen werde, ist alles super."

"Man gewöhnt sich nie daran, aber bei längeren Reisen ist es ziemlich nützlich", sagte Otahn und betrachtete mit besorgtem Gesicht den Himmel. "Ein Sturm zieht auf. Wir werden uns beeilen müssen." Rasch griff er in seinen Umhang, holte einen großen Lederbeutel hervor und füllte Wasser aus der Quelle hinein. "Trink so viel du kannst. Wer weiß, wann wir das nächste Mal die Gelegenheit dazu bekommen", riet er mir.

Nachdem wir unseren Flüssigkeitsbedarf ausreichend gedeckt hatten, marschierten wir los. Der Himmel hatte sich inzwischen beunruhigend verdunkelt und nachdem wir kaum eineinhalb Stunden gelaufen waren, blies uns eine mächtige Windböe sämtlichen Staub der Umgebung ins Gesicht.

Hustend und würgend bemühten wir uns, unsere Gesichter zu verdecken, wobei ich mit meinem dünnen Sweatshirt eindeutig den kürzeren zog. Otahn zupfte einfach seinen weiten Umhang zurecht und zog sich den Piratenhut tiefer ins Gesicht.

Der Sturm wütete immer stärker bis wir nicht einmal die eigene Hand vor Augen erkannten. Ich konnte kaum noch atmen. Jedes Mal, wenn ich Luft holte, wehte der Wind mir eine große Handvoll Staub in die Lunge. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo Otahn steckte und so sammelte ich all meine Kraft und brüllte seinen Namen.

Das Heulen und Jaulen des Sturms übertönte jede mögliche Antwort. Es war zwecklos. Verzweifelt stemmte ich mich gegen die Wand aus Luft, doch es gab kein Vorankommen mehr. Meine Augen tränten und brannten von den groben Körnern wie verrückt und als ich gerade tief einatmen wollte, schloss sich ein eiserner Schraubstock um meine Lunge. Ein letztes Mal blickte ich mich noch nach Otahn um, aber Fehlanzeige. Die erste nette Person an diesem Ort blieb verschwunden. In meiner Not ließ ich mich auf den Boden fallen, wo ich augenblicklich in tiefe Bewusstlosigkeit fiel.

6. Kapitel

 

Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie lange ich ohnmächtig gewesen war, aber als ich aufwachte, war der Sandsturm vorüber. Dicke Regentropfen fielen vom Himmel herab und der Boden verwandelte sich in braunen Schlamm. Der Regen kühlte meinen Körper angenehm und ich öffnete den Mund um ihm wieder Wasser zuzuführen. Ich richtete mich auf; vermutlich sah ich aus wie eine zum Leben erwachte Moorleiche. Dann blickte ich mich suchend um.

"Otahn?!" Alles blieb still. Wo steckte mein neuer Freund bloß? Wenn er nun irgendwo unter der meterdicken Schlammschicht begraben lag ...

Ein Rumoren riss mich aus meinen düsteren Gedanken und ich machte vor Schreck einen Satz rückwärts. Dort wo eben noch meine Füße gestanden hatten, klaffte jetzt ein breiter gezackter Riss im Boden. Schlamm sickerte in das Loch hinein und etwas Riesiges bewegte sich tief in der Erde nach oben ans Tageslicht. Die Geräusche, die es dabei machten, klangen äußerst beunruhigend und schmerzten in den Ohren. Ein Schaben und Ächzen, untermahlt von ekelerregenden Schmatzlauten. Hin und wieder unterbrochen von – einem menschlichen Stöhnen!

Ich beugte mich vorsichtig ein Stück über den Riss und unterdrückte gerade noch rechtzeitig einen Schrei. Ein alptraumhaftes Wesen bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche. Es war noch gut 100 Meter entfernt, weshalb ich nicht viel in der Dunkelheit erkennen konnte. Feststand, dass das Ding dort unten weit mehr als 50 Meter maß und garantiert nicht harmlos war. Der winzige Laut, welcher kurz darauf ertönte, ließ mich eine Gänsehaut bekommen. Hatte ich mich verhört? Ich spitzte die Ohren und konzentrierte mich. Da, wieder! Nun war ich mir hundertprozentig sicher. Das gekrächzte 'Hilfe' da unten stammte eindeutig von Otahn!

Ich begann zu zittern wie Espenlaub und bohrte meine Fingernägel so stark in meine Handflächen bis es schmerzte. Unschlüssig starrte ich in den gähnenden Abgrund. Die Helden in meinen Büchern hätten sich jetzt selbstlos und todesmutig auf das Vieh gestürzt (welches ich leider immer noch nicht genau identifizieren konnte), aber ich? Ein schmächtiger, 15-jähriger Junge, dessen größte Taten bisher darin bestanden, regelmäßig Einsen in sämtlichen Fächern zu schreiben?

"Lukas ...", klang es ersterbend von unten. Ich hatte keine Wahl, ich musste handeln. Als ich mir gerade einen genialen Plan ausdenken wollte, schoss die mit Abstand ekligste und furchterregendste Kreatur, die ich je gesehen hatte, unter lautem Schmatzen aus dem Loch. Auf den ersten Blick konnte man es mit einem sehr großem Regenwurm vergleichen. Tatsächlich maß das Es vom Kopf bis zur Schwanzspitze gute 60 Meter und hatte dicke, fleischfarbene Haut, welche von so etwas wie einem ziemlich dicken Chitinpanzer bedeckt wurde. Sein Umfang betrug locker 10 Meter und aus seinem wurmähnlichem Körper sprossen schwarze Borsten, die Stacheln glichen, und ein winziges Flügelpaar. Mein Blick wanderte langsam zu dem wuchtigen Kopf nach oben und am liebsten hätte ich mich gleich wieder abgewandt. Der gigantische Regenwurm war blind; die handtellergroßen Insektenaugen (Sie passten absolut nicht zum Gesamterscheinungsbild und wirkten einfach nur grotesk.) schimmerten milchig weiß, aber aufgrund der zwei schlangen ähnlichen Nasenlöcher und den kleinen Ohröffnungen entging ihm dennoch keine Bewegung. Das Schlimmste allerdings war der gewaltige Mund, der sich als unförmige Spalte quer durch den Kopf zog. Der Wurm besaß keine Zähne, aber dafür oben und unten zwei gewaltige Platten aus was auch immer. Genau dazwischen klemmte Otahn fest.

Er hing schlaff wie ein geschmackloses Spielzeug im Maul der Bestie und sein Kopf wippte bei jeder Bewegung des Regenwurms auf und ab. Ich konnte zwar erkennen, dass sich sein breiter Brustkorb in unregelmäßigen Abständen hob und senkte, aber viel Leben schien nicht mehr in ihm zu sein. Sein Piratenhut war nirgendwo zu sehen.

Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren und ich bemühte mich einen klaren Kopf zu behalten. Wenn ich durchdrehte waren Otahn und ich Wurmfutter. Etwas Silbernes blitzte einige Meter von mir entfernt im feuchten Steppensand auf. Otahns Schwert! Es musste ihm aus dem Gürtel gerutscht sein, während er im Schlund des Wurms hing. Ich schätzte meine Chancen ab. Sehen konnte mich das Vieh nicht, aber hören und riechen umso besser. Ganz langsam bewegte ich mich voran, bis ich nur noch wenige Zentimeter von dem Etwas entfernt war. Ich hätte seinen ekelhaften Panzer berühren können. Ich streckte die Hand aus und meine Finger schlossen sich um den kühlen Griff des Schwertes.

Plötzlich begann der Wurm laut zu schmatzen, er reckte den unförmigen Kopf und richtete seine blinden Augen direkt auf mich. Ich bereitete mich darauf vor, mit tollkühnem Gebrüll die Klinge zu schwingen und dem Vieh heldenhaft den Gar aus zu machen, aber da hatte ich die Rechnung ohne meine Waffe gemacht. Das Teil war so schwer, dass ich es selbst mit zwei Händen nur unter Ächzen und Stöhnen anheben konnte. So viel zu meinem unglaublich tollen Plan. Nun gut, dann musste ich eben improvisieren.

7. Kapitel


"Hey, du hässliches Riesenvieh, hier bin ich! Findest du es nicht ein bisschen feige, jemanden zu fressen, der sowieso schon halb tot ist? Nimm doch lieber mich, ich schmecke viel frischer und lebendiger!"

Mit jeder Faser meines Körpers sehnte ich mich danach abzuhauen, mich kreischend irgendwo zu verstecken. Aber ich blieb. Das war ich Othan schuldig, schließlich hatte er mir auch das Leben gerettet.

Der Wurm schien nachzudenken; obwohl ich mir eigentlich ziemlich sicher war, dass er kein Wort von meiner Ansprache verstanden hatte. Auf einmal öffnete er sein widerwärtiges Maul, worauf Otahn mit einem schauderhaften Knacks auf dem Boden aufschlug. Ich hoffte inständig, dass es ihm nicht das Genick gebrochen hatte.

"Feines Würmchen und jetzt geh' weg von ihm. Genau, so ist es brav", säuselte ich freundlich und mit einigen schnellen Schritten überwand ich die Entfernung zwischen mir und meinem Reisegefährten. "Otahn! Hey, Kumpel, du kannst mich jetzt nicht einfach so im Stich lassen!"

Kein Anzeichen, dass er mich auf irgendeine Art und Weise wahrnahm. Ich holte aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. "Los, wach auf!"

Otahn regte sich kaum merklich und sog scharf die Luft ein. Er keuchte auf vor Schmerz. "Ahh ..."

"Bleib ruhig liegen, sieht aus, als hättest du dir ein paar Rippen gebrochen. Zum Glück nicht mehr, glaube ich. Meinst du, du kannst aufstehen?" Ich plapperte vor Nervosität und Erleichterung, dass er noch lebte, wie ein Wasserfall.

Die Augen meines Freundes weiteten sich vor Entsetzen. "Hinter ... hinter dir!", krächzte er. Ich wirbelte herum und erblickte den Wurm, der im Affenzahn auf uns zukroch. "Br-bring mir mein Schw-Schwert", murmelte Otahn mit ersterbender Stimme.

"Was?!"

"Mach schon!"

Ich starrte ihn an, als hätte er so eben behauptet, ich solle einen pinken Elefanten holen gehen. "In deiner Verfassung kannst du unmöglich kämpfen. Ich werde einen Weg finden, wie wir hier wieder rauskommen."

"Und wie willst du das anstellen? Jetzt lauf endlich, Lukas!", brüllte er mich an und sank gleich darauf wieder leblos zu Boden. Ich stöhnte gequält auf und rannte zum Schwert zurück. Der Wurm schmeckte gerade erneut die Luft und bewegte sich gemächlich auf mich zu. Er schien zu ahnen, dass weder ich noch Otahn in der Lage waren, ihm zu entkommen.

Das Schwert lag immer noch glitzernd im Sand. Es schien mich auszulachen, dafür, dass ich zu schwach war es vollständig anzuheben. Entschlossen packte ich den Griff und zog. Mein Verzweiflung verlieh mir ungeahnte Kräfte. Tatsächlich schaffte ich es, die Waffe knapp über dem Boden hinter mir herzuschleifen. Ich bewegte mich halb rennend, halb auf allen Vieren kriechend vorwärts und schaffte es schließlich zu Otahn.

Der war schon fast wieder bewusstlos, als ich ihm sein Schwert in die kalte Hand drückte. Im selben Moment spürte ich den heißen Atem des Ungeheuers im Nacken und wusste, dass alles zu spät war. Gleich würde ich mich im Magen eines gigantischen Regenwurms wiederfinden. Ein schöner Tod. So ... kreativ.

Resigniert schloss ich die Augen, alle meine Bemühungen waren umsonst gewesen. Was hätte ich – der schmächtige, von allen verachtete Streber Lukas Forkner auch gegen so ein Monster ausrichten können? Das war doch alles Wunschdenken! Ich hatte definitiv zu viele Bücher gelesen.

Die Bestie schloss ihre rasiermesserscharfen Zähne um mich und ich stöhnte auf, als sie dabei meinen verletzten Arm streifte. Nun war alles vorbei. Ein fester Biss und dann ...


Ich landete hart auf dem Rücken im feuchten Wüstensand. Als ich röchelnd versuchte, mich aufzurichten, landete etwas unfassbar Schweres und Übelriechendes auf meiner Brust und ich hörte ein gruseliges Knacken gefolgt von einem stechenden Schmerz. Das war vermutlich eine meiner Rippen gewesen.

Ich schielte nach oben und blickte direkt in das Auge des Riesenwurms. Ein mädchenhaftes Quieken entfuhr mir und ich versuchte rückwärtssitzend davon zu kriechen. Es ging nicht. 30 Kilo Wurmkopf lagen auf meinem Oberkörper. Angeekelt schob ich mit meinem heilen Arm das Vieh von mir herunter und richtete mich nach Luft schnappend auf. Ich ignorierte die nagenden Schmerzen und musterte meine Umgebung. Das allererste, was ich erblickte, war der aufgeschlitzte Wurm.

Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um nicht das spärliche Essen von vorhin wieder hochzuwürgen. Sämtliche Organe und andere Dinge, die ich nicht unbedingt genauer erläutert haben wollte, quollen aus dem Vieh heraus und Otahn lag daneben – das blutige und merkwürdigerweise gelblich schimmernde Schwert noch in der Hand.

Sein Anblick schien das pure Elend zu verkörpern, wie er bleich, zerkratzt, mit einem merkwürdig verdrehten Bein und geschlossenen Augen dalag. Ich wankte, humpelte und kroch zu ihm. Wie hatte er das Biest besiegen können?


"Lukas?", murmelte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. "Bist du das?" Ich grinste ihn schief an. "Hey, Kumpel, warte, ich komm' zu dir. Voll erwischt, würd' ich mal sagen", rief ich ihm zu und setzte mich an seine Seite.

Ein schwaches Lächeln stahl sich auf das Gesicht meines Freundes. "Wenn du das gebrochene Bein, die Quetschungen und die angeknacksten Rippen außen vor lässt, geht's mir doch ziemlich gut." Na ja, zumindest seinen Humor hatte er beibehalten. "Du siehst aber auch nicht besonders rosig aus", kicherte Otahn und verzog gleich darauf das Gesicht vor Schmerzen.

"Wie hast du ... es getötet? Ich meine, wie bist du überhaupt - ?" Otahn nickte ernst. "Das da", er deutete auf die Bestie, "ist ein Wüstenlindwurm. So ziemlich das Schlimmste, was dir in einer Wüste oder Steppe passieren kann. Diese Lindwürmer graben kilometerlange Tunnelsysteme in trockenen Gebieten und kommen nur dann heraus, wenn sie Hunger haben. Das ist so ungefähr alle 20 Jahre der Fall. Meistens brechen sie die Erde nach einem dieser kurzen Platzregen, wie wir ihn erlebt haben, auf, denn dann kommen viele Beutetiere hier her.

Es ist relativ unwahrscheinlich einen Angriff dieser Bestien zu überleben. Sie haben fast keine Schwächen bis auf ihren weichen, verletzlichen Bauch.

Als es nach dem Sturm anfing zu schütten, hatte ich schon diese ungute Vorahnung. Ich ging die Gegend ab, um Anzeichen für einen Bau beziehungsweise den Durchbruch zu finden und bin – nun ja – direkt reingetreten." Otahn schloss seinen Bericht.

Ich schluckte und versuchte überall hinzusehen, nur nicht zu dem toten Lindwurm. Dass Otahn meine Frage überhaupt nicht richtig beantwortet hatte, fiel mir gar nicht auf.

Keiner von uns beiden wollte das Wort als Erster ergreifen und so schwiegen wir eine halbe Ewigkeit lang. Die unausgesprochene Frage stand wie eine kalte Felswand zwischen uns.

Wie sollten wir es in unserer jetzigen Verfassung jemals bis in Otahns Heimatstadt schaffen?

8. Kapitel


"Es muss doch jemand wissen, wo du hingegangen bist!", fragte ich, verzweifelt bemüht einen Ausweg aus dieser verzwickten Situation zu finden. Otahn stöhnte. "Natürlich weiß jemand, wo ich hingegangen bin. Sie werden sich aber frühstens in drei Tagen sorgen. Als ich dich fand, war ich gerade auf einem Kontrollgang durch Marinland, um zu sehen, ob alles beim rechten ist."

Ich fragte gar nicht erst nach, was es mit Marinland auf sich hatte. Es gab wichtigere Dinge, worüber ich nachdenken musste. "Bleib hier, ich seh mich mal um", wandte ich mich an Otahn. Jeder Atemzug schmerzte in meinem Brustkorb, meine Nase war nur noch ein unförmiger Klumpen und der rechte Arm fühlte sich taub an. Und das waren nur die schlimmsten Blessuren. Trotzdem befand ich mich in wesentlich besserer Verfassung als er und ich musste mich jetzt zusammenreißen.

Ich wollte gerade losstapfen, als mir mein Freund einen kühlen Gegenstand in die Hand drückte. "Nicht, dass hier noch son' paar Würmschen rumkrieschen", nuschelte Otahn schläfrig, während ich den Dolch mit dem schlichten weißen Knauf ehrfürchtig musterte. "Danke." Ich ging einige Schritte in die endlose Wüste, die uns umgab, nicht wirklich zuversichtlich Hilfe zu finden.

Bereits nach 30 Minuten Fußmarsch über zwei Hügelkuppen hörte ich etwas Ungewöhnliches. Ein ... Trommeln! Ich verhielt mich ganz still, den Dolch griffbereit und blickte mich vorsichtig um. Die Wüste hatte sich allerdings nicht im Geringsten verändert.

Hellbrauner, heißer Sand, den ich sogar durch die Sohlen meiner Chucks hindurch spürte und der sich zu abstrakten Dünengebilden formte, wenn man nur lange genug das Spiel des Windes beobachtete. Der rein blaue Himmel flimmerte in der Hitze, sodass einem ganz schwindlig vom Hinsehen wurde. Kein Unterschied zur Stelle, wo Otahn lag. Wie sollte ich dahin bloß wieder zurückfinden?

Tja, das hättest du dir früher überlegen sollen, du Idiot! Jetzt ist es zu spät.

Das Trommeln wurde lauter und dazu mischte sich Gesang, der ziemlich indianisch klang. Indianer in einer Parallelwelt? Unlogisch, aber warum nicht? Mich konnte nichts mehr schocken.

Am Horizont kamen Schatten in Sicht. Schatten, die lange Stöcke trugen und Pferde, Kamele, sowie einige große Tiere, die entfernt wie Büffel aussahen. Ich kniff die Augen zusammen, während die Prozession immer näher kam. Die Schatten wurden klarer und schließlich erahnte ich die Silhouetten von ... an die hundert Frauen.

Stirnrunzelnd blieb ich, wo ich war. Als sie die Entfernung zwischen uns fast überbrückt hatten, verstummten die Trommeln und eine hochgewachsene Kriegerin ritt auf einem dieser Büffel-Hybritwesen an die Spitze. Stocksteif stand ich da, bis sie schließlich vor mir anhielt und abstieg. Sie überragte mich um gute zwei Köpfe. Schweigend betrachteten wir uns gegenseitig.

Sowohl die Reiterin als auch ihr Tier faszinierten mich ungemein. Sie selbst trug ihre dicken, rabenschwarzen Haare offen, obgleich einzelne Strähnen zusammen mit goldenschimmernden Strängen zu unterschiedlich dicken Zöpfen verflochten waren. Ihr Gesicht jedoch fesselte mich am meisten. Es schien weder jung noch alt zu sein. Die kaffeebraunen mit winzigen Goldsprenkeln versehenen Augen, umrahmt mit dichten dunklen Wimpern, blickten intelligent über ihrer großen, das Gesicht dominierenden Nase. Ihre vollen Lippen umspielte ein kriegerischer Zug. Ihre Haut war jugendlich und glatt, von einem fast schwarzem Ton, trotz allem hatte sie etwas an sich, das mich sie auf Mitte 30 schätzen ließ.

Ein lederner Lendenschurz, hinten länger als vorne, verbunden mit einem knapp sitzenden Oberteil, betonte ihren muskulösen, aber dennoch weiblichen Körper.

Ihr Reittier sah zwar beinahe so aus wie ein gewöhnliches Rindvieh, aber seine Schulterhöhe betrug mindestens drei Meter und sein zottiges Fell schimmerte in allen Regenbogenfarben.

"Wer bist du?" Die Stimme der Kriegerin klang rauchig und fast so tief wie die eines Mannes.

"Ich heiße L-" "Lukas, ich weiß. Genauer gesagt Lukaspis." Mit großen Augen starrte ich sie an. Ihre Mundwinkel zuckten, als wollte sie lächeln, dann nahm ihr Gesicht wieder diesen undeutbaren Ausdruck an. "Ich habe 'Wer bist du?' gefragt, eben weil ich nicht weiß, wer du eigentlich bist. Ich werde nicht aus dir schlau." Schnell fand ich meine Sprache wieder. "Wer sind Sie überhaupt, dass sie so krass viel über mich wissen?!" "Verzeihung, mein Name ist Tamaeirah. Ich bin die Anführerin des Stammes der Wüstennomaden. Mein Stamm steht in engem Kontakt zu den weisen Herrschern der Sterne. Sie haben mir in den letzten Nächten gesagt, dass du kommen würdest und einiges über dich erzählt."

Ich kam mir vor, wie wenn sie mich gleich für irgendeine Dummheit rügen würde. Ein Lachen stahl sich meine Kehle hoch, erlosch aber rasch, angesichts der völlig unpassenden Situation. "Dein Schicksal, dein Ich ... - es ist sonderbar. Deine Zukunft ist dunkel und neblig, doch das, was ich in den Bahnen des Himmels lesen konnte, lässt schließen, dass du eine entscheidende Rolle für Elyrias spielen wirst. Je nachdem, welche Seite von dir die Oberhand übernimmt."

Ungläubig erwiderte ich ihren bohrenden Blick, der mich glauben ließ, sie könne in die tiefsten Abgründe meiner Seele schauen. Wieso nur schien mich jeder hier besser zu kennen, als ich mich selbst? Erst Bûrkan, nun diese irgendwie unheimliche Frau.

Ich schluckte schwer. Und warum war ich so bedeutend für dieses merkwürdige Land? "Äh-ähm, also mein Freund und ich wurden von einem Wüstenlindwurm angegriffen und uns geht's ein bisschen scheiße." Ich sah, wie sich Tamaeirahs Augen bei dem Wort 'Wüstenlindwurm' weiteten, sie sagte aber nichts. "Er hat sich ein Bein und Gott weiß, was noch gebrochen, kann nicht aufstehen, geschweige denn laufen und überhaupt wäre ich sehr dankbar, wenn ich ihm so schnell wie möglich helfen könnte." Ich musste schmerzerfüllt keuchen und presste eine Hand auf die Stelle, wo der Wurm auf mich gefallen war. Mein anderer Arm baumelte nutzlos an der Seite herab und die Nase pochte dumpf. Ob sie wohl jemals wieder aussehen würde wie früher? Ich bezweifelte, dass es in dieser mittelalterlichen Welt vernünftige Arzneimittel gab. Mit Schaudern dachte ich an die Heilmethoden von damals.

Tamaeirah hob eine buschige, dunkle Augenbraue auf Grund meiner etwas schroffen Ansage. Ein scharfer Ruf zu ihren Begleiterinnen, die immer noch mehrere Meter entfernt auf sie warteten, dann: "Bring' mich zu ihm!"

Ich humpelte über die zwei Hügelkuppen zurück, die Anführerin der Wüstennomaden dicht hinter mir. Langsam schwanden meine Kräfte und ich musste mich zwingen, einen Schritt vor den anderen zu tun. Meine Verletzungen machten mir echt schlimm zu schaffen und der lange Tag auch. Unglaublich, dass ich erst heute Morgen Otahn getroffen hatte.

Die Sonne ging allmählich glutrot hinter einer Sandanhäufung unter. Geschätzte fünf Minuten später brach ich neben Otahn zusammen und hörte nur noch, wie die Wüstennomaden einen rauen Singsang anstimmten, während sie ihre Trommeln schlugen.

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Kommentare: 5
  • #1

    Lay (Dienstag, 03 Dezember 2013 19:39)

    Ein ziemlich guter Auftakt :)
    Ich bin gespant, was da noch so kommt.... klingt ja schon sehr spannend
    Was ich mich allerdings frage; wie kommt Lukas darauf, dass diese Menschen 'Dinge verändern' können? Würde er nicht eher erst nach einer logischen Erklärung suchen, selbst wenn es keine Tür gibt?
    Jedenfalls wäre es das, was ich tun würde, selbst in einer so merkwürdigen Situation :'D
    Dir noch einen traumhaften Tag
    Lay

  • #2

    Lini (Donnerstag, 05 Dezember 2013 20:40)

    Huhu :) Ich komme leider erst jetzt dazu deine Geschichte zu kommentieren.
    Also ich finde sie bis jetzt wirklich gelungen! Die Wortwahl, dein Schreibstil, mag ich total, aber das weißt du ja. :)
    Zum Ende hin war ich erst recht gespannt, wie es weiter geht, weil Fantasy eigentlich so mein Lieblingsgenre ist. Bin echt gespannt, wie es weiter geht und ob Lukas wieder aus der Zelle rauskommt und was er dann noch so erlebt...
    Lass mich nicht zu lange warten mit der Fortsetzung! ;)
    LG Lini

  • #3

    Veri (Freitag, 06 Dezember 2013 14:59)

    Huhu, schön, dass wenigstens ein paar Leute kommentieren :D Die Fortsetzung existiert schon und wird auch bald zu lesen sein, wenn ich sie nochmal ein bisschern überarbeitet habe ;)
    An Lay: Lukas ist wirklich verzweifelt und hat keinen Plan, warum er jetzt an so einem merkwürdigen Ort ist. Deshalb versucht er eine Erklärung zu finden und eine Möglichkeit wäre es ja ... ;)

  • #4

    Lini (Donnerstag, 26 Dezember 2013 21:36)

    Huhu! :)
    Also ich mag auch das zweite Kapitel. Eigentlich habe ich überhaupt keine Kritik, vielleicht könntest du die Stelle, an der Lukas "gefoltert" wird, noch näher beschreiben. Was er fühlt, wie diese seltsamen Blitze aussahen, so etwas. ;) Ansonsten aber schön geschrieben. Ich bin jedenfalls gespannt, wie es weitergeht...

  • #5

    Veri (Freitag, 27 Dezember 2013 10:58)

    Ja, mit dem Beschreiben hab ich's irgendwie nicht so. Ich versuch es immer wieder anschaulich zu schildern, aber trotzdem gelingt es meistens nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe :/
    Vielleicht fehlt mir einfach noch die Übung, aber trotzdem danke für dein Lob und die kleine Kritik :)


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